Aktuell, Allgemein, Ausstellung, Ausstellungen, bremerKultur, Frauen, Gender, Kultur

#Ausstellung: Der blinde Fleck. Kunst in der Kolonialzeit

Einen kritischen Blick auf die Verflechtung von Kunst und Kolonialzeit wirft derzeit – sogar bundesweit beachtet– die Kunsthalle Bremen mit der Ausstellung „Der blinde Fleck“ . Bernd empfiehlt einen Besuch gerade im Bewusstsein aktueller Entwicklungen unbedingt. 

Auch das ist Kunst der Kolonialzeit: Postkarte des ehemaligen „Kolonial-Ehrenmals“ in Bremen, vor 1945, Sammlung Joachim Zeller

Die neue Sonderausstellung in der Kunsthalle Bremen widmet sich der Frage, wie in der historischen Phase der klassischen Moderne dem „Fremden“ begegnet wurde. Sie reflektiert damit auch ausdrücklich die Geschichte der Kunsthalle selbst, denn sie untersucht die Verflechtungen von Kunst, Bremer Importhandel und Mäzenatentum.
Die so genannte Kolonialzeit von ca. 1900 bis 1919 ist die Hochphase des 1823 gegründeten Bremer Kunstvereins (die Kunsthalle wird erst 1849 eröffnet), in jener Zeit der Jahrhundertwende kommen heute noch wichtige Werke (Pechstein, Modersohn-Becker, Van Gogh, Gauguin) in den Bestand. Außereuropäische Kunst wird seinerzeit (noch) nicht gesammelt, sieht mensch von japanischen Holzschnitten ab, denen dann in der Sonderausstellung ein eigener Raum gewidmet ist. 1923 werden erstmals Objekte als Kunst – und nicht wie in den Völkerkundemuseen üblich als ethnografische – ausgestellt, sie stammen aus dem Bremer Überseemuseum.

Kunst in der Kolonialzeit = Blick aufs Fremde

Exotik auch beim Obst: Paula Modersohn-Becker Stillleben mit Äpfeln und Bananen, 1905 Tempera auf Leinwand, 67 x 84 cm Kunsthalle Bremen – Der Kunstverein in Bremen

Die gezeigten (Kunst-)Werke europäischer Herkunft, aber auch Werbeplakate (aus einem Zeitraum von 70 Jahren) für Kaffee und Bananen oder solche des Norddeutschen Lloyd zeigen den kolonialistischen, rassistischen und exotisierenden Blick jener Jahre sehr deutlich. Die Kaffeewerbung präsentiert zwar die ProduzentInnen dieses neuen Produkts, aber verniedlichend als Kinder oder zufriedene ArbeiterInnen. Den heute weltberühmten KünstlerInnen wiederum dienten die Kolonien oder people of color vor allem als Stimulanz für ihre eigenen Fantasien und als Projektionsfläche für ihre (unerfüllten) Träume und Sehnsüchte, an den realen Lebensumständen hatten sie keine Ahnung und an ihnen waren sie auch nicht interessiert. Gleichzeitig machten sie in ihrer Kunst vieles sichtbar, was im Kaiserreich in dieser Form bis dato nicht sichtbar war. Sie schätzten außereuropäische Kunst und ent-individualisierten und infantilisierten doch zugleich ihre ProduzentInen oder die von ihnen auf ihren Bildern festgehaltenen Menschen.

Kunsthalle Bremen stellt sich ihrer Geschichte

Exotisches Reiseziel auf dem Plakat von Hugo Feldtmann, Lloydreisen nach dem Süden, um 1935, Chromolithographie, Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven

Dies ist die Widersprüchlichkeit der damaligen Kunst, mit der auch eine zeitgenössische Ausstellung fundamental konfrontiert ist: War die Kunst damals auch eine Kritik an der westlichen Moderne und ihrer Rationalität, war sie doch gleichzeitig nicht frei von Projektionen und Rassismus. Heute stellt sich die Frage, wie die dringend notwendige De-Kolonisierung der deutschen Geschichte von statten gehen kann, ohne wieder in Exotismen zu verfallen. Oder wie etwa Kooperation zwischen den mit immenser Positionsmacht ausgestatteten Bio-Deutschen des herkömmlichen Kunstbetriebs mit people of color konkret geschieht. Wer wissen will, ob und wie das in der Kunsthalle gelungen ist, sollte diese Ausstellung besuchen, die nicht zuletzt im Kupferstichkabinett eine immense Textfülle zur kolonialen Geschichte der Hafen- und Handelsstadt Bremen bereithält.

Die Ausstellung ist zusammengefasst einen kritischen Besuch mehr als wert. Sie spricht viele Themen an und weist auf Querverbindungen hin. Ihr Thema wird in Zukunft, Stichworte Flüchtlinge, AfD, Europa oder Rassismus der Mitte, nicht an Brisanz verlieren. Leider.

Der blinde Fleck. Bremen und die Kunst in der Kolonialzeit. Kunsthalle Bremen, Am Wall 207, Öffnungszeiten: Mittwoch bis Sonntag, 10 bis 17 Uhr, Dienstag 10 bis 21 Uhr, Montag geschlossen. Noch bis 19. November 2017.
Gleichnamige Begleitpublikation im D. Reimer Verlag Berlin (191 S., ISBN 9783496015901), 19,90 EUR, herausgegeben von der Kuratorin Julia Binter.

Die spektakuläre Intervention des Künstlers Hew Locke in der Oberen Rathaushalle anlässlich der Ausstellung kann im Rahmen der regulären Rathausbesichtigungen betrachtet werden.


Termintipp:

Spoken Word Workshop – Die eigene Stimme finden
Wie kann ich mich ausdrücken? Wie finde ich Worte, meine Worte? Wie bringe ich diese Worte zu Papier? Wie kann ich die Worte so vermitteln, dass andere mir zuhören?
Der Wochenend-Workshop beschäftigt sich inhaltlich mit postkolonialen und dekolonialen Perspektiven und  beginnt mit einer Führung durch die Ausstellung. Anschließend werden anhand von kurzen Inputs und Schreibübungen erste Texte erarbeitet.
Eine Kooperationsveranstaltung der Bremer Volkshochschule mit der Kunsthalle Bremen

21. Okt. + 22. Okt. 2017 (2x, 17 UStd)
Sa, 10.00 – 18.00 Uhr
So, 10.00 – 16.00 Uhr, mehr Infos auf vhs-bremen.de

Beitragsbild:
Postkarte des ehemaligen „Kolonial-Ehrenmals“ in Bremen,
vor 1945
Sammlung Joachim Zeller

Text: Bernd Hüttner