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reiseZeit: Annica und der glühende Eisberg im Outback

Endlich angekommen! Nach 1.700 Kilometer quer durchs Outback zeigt sich der Uluru. © Annica Müllenberg

Da ist selbst die Fahrerin des Greyhound-Busses aus dem Häuschen, obwohl sie die Strecke zwischen Adelaide und Alice Springs regelmäßig fährt, hat sie noch nie einen doppelten Regenbogen über der rostroten Wüstenlandschaft gesehen. Sie zückt ihr Handy, macht ein Foto und ruft den Fahrgästen zu: „Schaut euch das an!“ Ich verstehe das farbenfrohe Naturschauspiel als Zeichen. Mir steht sicherlich ein ganz besonders schönes Abenteuer bevor.

Nachdem ich die üppige Natur in vollen Zügen auf Tasmanien genossen habe, bin ich bereit für Hitze, Staub und karge Landschaften. Als wären diese Herausforderungen nicht schon hoch genug, muss ich eine 20-stündige Bustour ins Herz des Kontinents überstehen, um in die Nähe des bekanntesten Bergs Australiens zu kommen – dem Uluru, der früher Ayers Rock genannt wurde. Es wird eine Pilgerreise werden: Das heißt, 1700 Kilometer durch eine rostrote Wüste nach Alice Springs und dann noch einmal weiter. Würde man von Bremen losfahren, entspräche diese Strecke der Distanz bis nach Barcelona. Während sich der Busreisende in Europa die Zeit mit dem Betrachten der unterschiedlichsten Landschaften vertreiben könnte, sehe ich Stunde um Stunde dieselbe rostrote Steppe. Einzige Abwechslung auf dem kerzengeraden Highway sind kreuzende Rinder und LKW. Mit bis zu 53 Metern Länge und drei Anhängern werden sie auch Monstertrucks genannt.

Roter Sand überall – wie auf einem überdimensionierten Tennisplatz. © Annica Müllenberg

Fliegende Begleiter

Doch die Leere täuscht. In Alice Springs starten am kommenden Morgen Dutzende Tourbusse mit verschlafenen Touristen um 5 Uhr morgens mit dem Ziel Uluru. Ich werde nicht allein am roten Stein sein, denke ich enttäuscht und komme mir vor wie eine Pauschaltouristin. Das erhoffte Abenteuer scheint eine durchgeplante Kaffeefahrt zu werden. Natürlich gehört der rote Fels zu den bekanntesten Attraktionen des Kontinents und wird 365 Tage im Jahr besucht. Nur am 24. Dezember und am 1. Januar sei es etwas ruhiger, erklärt mir ein Gästeführer. Aber ich habe keine Wahl: Ich sehe mich schon in der Reihe mit fotografierenden Japanern und schirmtragenden Chinesinnen. Am ersten Stopp, einem winzigen Kiosk im Nirgendwo, lässt sich die Schar der Besucher erahnen – es sind viele. Allerdings wird die Zahl der Touristen noch weit übertroffen von einer anderen Spezies: Fliegen. Millionen müssen es sein, die sich wie manisch Hungrige auf die Massen stürzen und in Nase, Ohren, Augen kriechen wollen. Sie sind weit aufdringlicher als die deutschen Artgenossen, selbst heftiges Schlagen und Wedeln halten sie nicht von ihren Belästigungen ab. Es ist so schlimm, dass ich mich fluchtartig dazu hinreißen lasse, ein Fliegennetz für satte sieben Dollar zu kaufen. Die Servicekraft gratuliert mir zu meiner Wahl: „Sehr gute Investition.“ Der netzartige Schleier lässt mich aufatmen. Zumindest in meinem Gesicht haben die Biester keine Chance mehr – hoffentlich ist der rote Fels all das wert.

Farbenspiel der Natur in Rot-Braun-Tönen mit Himmelblau. © Annica Müllenberg

Rotes Herz des Kontinents

Obwohl ich nur im Bus sitzen muss, fühle ich mich mit der höher steigenden Sonne wie ein erschöpfter Extremsportler. Die Hitze wabert in Wellen über den Asphalt vor der immer gleichen Kulisse – roter Sand mit kargen Büschlein, so weit das Auge reicht. Doch nach mehreren Stunden erhebt sich plötzlich ein braunroter Buckel aus dem Nichts. Da ist er: der Uluru. Wie hypnotisiert starren alle in dieselbe Richtung. Wie ein großes schlafendes Tier ruht er da und ist in jeder Hinsicht eine Besonderheit. Kein Berg ist wie er und nicht ein einziger erzeugt so viel Glücksgefühle nur durch das Betrachten. Schon vor 10.000 Jahren war er quasi das Haus der Anangu, einem Stamm der Aborigines. An verschiedenen Stellen kochten sie, schliefen sie und betreuten die Kinder. Als 1788 die ersten Sträflinge aus Großbritannien kamen, dauerte es nicht lange und die Siedler machten den Ureinwohnern das Land streitig. Der im Sonnenlicht rot leuchtende Berg übt eine bis heute ungebrochene Faszination auf Menschen aus. Bis in die 80er Jahre pilgerten Touristen zu der heiligen Stätte, erklommen sie und erkundeten jeden Winkel. Für Christen müsste sich das so anfühlen, als würde jemand den Petersdom erklettern, auf der Spitze seine Initialen ins Gold ritzen, jedes Kreuz im Inneren umdrehen, im Weihwasser die Hände waschen, den Messwein zum Durstlöschen trinken und auf dem Altar campen. Seit 1985 gehört der Berg wieder den Anangu und diese bitten darum, ihn nicht zu betreten, es würde sie sonst sehr traurig stimmen.

Die Erosion frisst kleine Löcher ins weiche Gestein. © Annica Müllenberg

Bitte nicht erklimmen!

Die bleierne Hitze lässt das Quecksilber bis auf 45 Grad ansteigen, als unsere Gruppe gegen 14 Uhr den Rundweg erreicht. Viele kleine Schäfchenwolken stehen am tiefblauen Himmel und sorgen für eine perfekte Postkartenidylle. Sie knipsen die brennende Sonne für kurze Augenblicke aus und spenden Erleichterung. Doch der härteste Teil steht trotzdem noch an, ein zehn Kilometer langer Marsch um den schlafenden Riesen. Der Uluru ist wohl der einzige Berg, den man umrundet und nicht erklimmt, um ihn zu erkunden. Doch selbst der flache und relativ kurze Wanderweg ist eine Herausforderung. Ins Outback fährt man nur gut ausgerüstet: drei Liter Wasser, Wanderschuhe, Hut und Sonnencreme sind ein Muss. Nicht zu vergessen – das Fliegennetz, denn auch wenn von den vielen Touristen nun niemand mehr zu sehen ist, die Fliegen bleiben mir treu. Eine Frau wedelt heftig mit den Armen und versucht, den schwirrenden Schwarm zu vertreiben: „Was wollen diese Fliegen nur?“ Meine Augenflüssigkeit trinken und sich im Schatten meiner Nasenhöhle verkriechen, denke ich.

Staunender Blick auf den Stein, der seinesgleichen sucht. © Annica Müllenberg

Eisberg in der Wüste?

Doch mit Blick auf den Berg sind mir meine fliegenden Begleiter plötzlich egal. Aus der Nähe betrachtet wirkt der Koloss wie eine erstarrte, in Falten gelegte Teigmasse, glatt geschliffen und mit abgeplatzten Stellen, die den Blick auf hohle Strukturen im Inneren freigeben. Zusammen mit dem stahlblauen Himmel, dem rostroten Geröll und den wenigen grünen Sträuchern ergibt sich ein intensives Farbenspiel, wie ich es in der Wüste nicht erwartet hätte. Der kleine Felsen weiß es, sich in Szene zu setzen und punktet als sicherlich schönster seiner Art. Auch was seine Höhe betrifft muss sich der Zwerg nicht neben den steingrauen Himalaya-Riesen verstecken. Denn der rostrote sichtbare Rücken ist nur ein seitlicher Teil des Berges, der eigentlich noch sechs Kilometer in die Tiefe reicht und sich durch geologische Prozesse ähnlich wie ein Eisberg seitlich an die Erdoberfläche geschoben hat.

Ein Eisberg in der roten Wüste, nicht einfach nur ein zwergenhafter Stein. Der Uluru ist ein einzigartiges Naturwunder, für das ich jedes Mal wieder unzählige Kilometer zurücklegen und Attacken von Fliegen ertragen würde. Mit Blick auf den Berg fühle ich mich angekommen an einem bisher fremden Ort in dieser Welt – in Australien. Kein Wunder, dass dieses Fleckchen Erde den Aborigines heilig ist.

Text und Fotos: Annica Müllenberg

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