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#Kassettenkinder: Zeitreise in die 80er Jahre

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Stichwort Bandsalat: Kennst du den Trick mit dem Bleistift? Mehr kleine Geschichten aus einem Jahrzehnt ohne Internet in Kassettenkinder von Bonner/Weiss. Bild: © semper smile / Knaur Verlag

YPS-Hefte, Sunkist, Dallas, Hawaihemden, Helmut Kohl, Dalli Dalli, Indiana Jones, Playback im Fernsehen. Das sind nur einige der Dinge, über die die AutorInnen Stefan Bonner und Anne Weiss hier in einer Zeitreise in die 80er Jahre berichten. Sie erzählen aus ihrer eigenen Kindheit und frühen Jugend; haben ihre Eltern, Geschwister und FreundInnen befragt. Sie schreiben von der Schule, von Weihnachten und anderen familiären Ritualen, vom Familien- und dem ersten eigenen Urlaub (Interrail!) und den vielfältigen Erscheinungen der damals sich weiter ausbreitenden Mediengesellschaft (Kino, Musik, Fernsehen, Video, …). Sie berichten von einer Zeit, in der sich der Tagesablauf in vielen Familien noch nach dem Sendeplatz der Tagesschau und der großen Unterhaltungssendung am Samstagabend (Saalwette!) richtete. Einer Zeit, in der Helmut Kohl immer im Fernsehen war, und noch keine_r wissen konnte, wie lange er noch dort sein würde. Ein Jahrzehnt, nein, das letzte ohne Internet! Ohne Youtube, Whatsapp, Amazon und Email.

Kassettenkinder und ihre Radiomitschnitte

In diesem, in ein fiktives „Wir“ gekleideten Generationenporträt werden sich viele heute 30- bis 50 Jährige wiedererkennen. Zumindest wenn sie, wie die 1974 und 1975 geborenen AutorInnen  in der damaligen Bundesrepublik lebten und keinen Migrationshintergrund haben. Stellenweise ist das Buch etwas detailverliebt (oder langatmig?), es enthält aber viele kleine, liebenswürdige „Perlen“ und ist ein schöner Anlass, sich an eigene Erlebnisse zu erinnern. Vieles, wie etwa Radiomitschnitte auf Kassette und selbstgebaute Boxen gab es allerdings auch schon in den 1970ern.
Bemerkenswert ist aus heutiger Sicht hingegen, dass es in dem Buch viel um Konsum und damit um Waren geht, egal ob es sich um Essen, Reisen, Medienprodukte oder Kleidung handelt. Dass viele Kinder all diese Dinge nicht hatten oder kaufen konnten, und dies war damals ja der Fall, gerät aus dem Blick und verrät die Mittelschichtsperspektive der AutorInnen. Die Passagen, in denen Bonner und Weiss über die Prägungen eines Aufwachsens im angeblich coolsten Jahrzehnt ever reflektieren, sind dann auch etwas flach. Schlussendlich ist das Buch auch Nostalgie – und damit Bestandteil der derzeit zu beobachtenden Wiederkehr konservativer Werte bei den 20- bis 35-Jährigen.

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Stefan Bonner, Anne Weiss: Wir Kassettenkinder. Eine Liebeserklärung an die 80er, Knaur Verlag, 272 Seiten, 16,99 EUR

Text: Bernd Hüttner (Ist Jahrgang 1966 und gespannt was seine Tochter von dem Buch hält).