Die „Mood Tour“ bringt radelnderweise das Tabuthema Depression an die Öffentlichkeit, startete am 14. Juni 2014 in Leipzig und kommt am 10.September auch nach Bremen. Der Bremer Initiator Sebastian Burger hat auf dem Tandem einen Platz freigehalten. Unsere Redakteurin Annica Müllenberg durfte die Gruppe auf ihrer ersten Etappe bis nach Nürnberg für ein paar Tage begleiten. Moodtour-Tagebuch Teil II.
4. Tag
Der nächste Morgen beginnt mit einer kühlen Dusche im rauschenden Fluss. Ich schöpfe das kühle Nass und lasse es über meine Arme laufen. Nach einem Frühstück unter hohen Bäumen stellen wir uns dem Tag – und der scheint nicht einfach zu werden. Um uns herum türmen sich die Berge, auf den Spitzen thronen hübsche Schlösschen. Wir sind am Fuße des Rennsteigs – den wollen wir heute bezwingen. Ich steige zu Karoline aufs Tandem. Gemeinsam schnaufen wir uns die Berge hinauf. Ein kleiner Trost für leuchtende Wangen, tropfenden Schweiß und zitternde Waden ist der selbst gemachte Schneewittchenkuchen einer kleinen, aber ziemlich stark besuchten Dorfbäcker. Und dann geht es weiter – strampeln, damit der Akku des Handys voll wird und der Berg endlich bezwungen ist. Sebastian hat an jedes Tandem einen Pufferakku installiert, an dem elektrische Geräte aufgeladen werden können. Kurz vor Neuhaus, kreuzt uns ein Fußgänger. „Sie haben es bald geschafft. Neuhaus war mal die höchst gelegene Kreisstadt der ehemaligen DDR“, sagt er und deutet auf seine T-Shirt-Aufschrift. Glockner-König. Er fahre jedes Jahr den Großglockner mit dem Rad hinauf. Als wir uns in Neuhaus den letzten Berg hinauf kämpfen, ziehen die Bauarbeiter an einem Haus ihre Hüte, „klasse“, raunen sie. Passanten bleiben stehen und immer wieder Kinder rufen: „Schau mal, ein Doppelfahrrad.“ Ich kann nur noch nach unten sehen, auf die Pedale – immer wieder im Kreis, Kraft einsetzen, treten. Ich vertraue auf Karolines Koordinierung. Sie fährt in ihrer Freizeit auch Tandem und hat blinde Personen auf dem zweiten Sattel, dennoch ist es keine Selbstverständlichkeit, dass wir gleich einen Rhythmus finden.
Die Mühe wird belohnt: Johlend lassen wir uns knapp 20 Kilometer bis nach Sonneberg hinab rollen. Ein tolles Gefühl: den Fahrtwind im Gesicht zu spüren und mit Tempo 30 km/h ungebremst durch die Landschaft zu brausen. Abend dürfen wir unsere Zelte netterweise auf einem Pferdegestüt aufschlagen. Max und Fred, zwei der stolzen Tiere sind dermaßen von den Tandems begeistert, dass sie den Sattel anknabbern wollen.
5. Tag
Servus und Grüß Gott! Wir passieren die innerdeutsche Grenze und keiner merkt es. Vor 25 Jahren wäre das noch undenkbar gewesen und nun stehen unsere Tandems für eine Sekunde in Thüringen und Bayern gleichzeitig. Das neue Bundesland verwöhnt uns gleich mit einem freien Erdbeerfeld, für das wir gerne einen Stopp einlegen. Im niedlichen Kronach fällt der erste regionale Unterschied auf: „Wo ist denn hier der Marktplatz?“ Die Antwort: „So was hams hier net. Mir ham den Marienplatz“, belehrt uns ein Anwohner. Tatsächlich halten einige Bauern dort ihre Ware feil. Dennis kommt mit dem Mann vom Käsestand ins Gespräch: „Er hat mir seine ganze Lebensgeschichte und von seinen Depressionen erzählt“, berichtet Dennis. Der Mann lässt sich gerne das Anliegen der „Mood Tour“-Fahrer erklären und studiert interessiert den Flyer. Kurz danach rollen die drei Tandems wieder durch – endlich – flache grüne Ebenen. Wir kommen an einem Schloss vorbei, das noch einem privaten Schlossherren gehört. Die Haushälterin öffnet und erklärt, die Herrschaften würden gerade ruhen, wir dürften aber gerne ein wenig im Schlosspark spazieren. An einem kleinen Bach machen wir die erste Brotzeit. Käse, Radieschen auf frischem Brot avancieren an der frischen Luft zu einem Festmahl.
Am noch recht schmalen Main finden wir unser Nachtlager direkt am Ufer, umgeben von Bäumen. Nachdem Dennis und Sebastian die Qualität des eher noch als Flüsschen zu bezeichnenden Mains getestet haben, die Zelte nur einen Meter vom Wasser entfernt aufgebaut sind, ist es Zeit für das Abendessen. Dennis stapelt eine kunstvolle Holzpyramide für das Lagerfeuer zusammen. Heute gibt es sogar ein Drei-Gänge-Menü: Spaghetti mit Auberginen, Salat und Quark mit den gepflückten Erdbeeren. Es wird eine mückenfreie, sternenklare Nacht mit Lagerfeuerromantik.
6. Tag
„Es sind nur 20 Kilometer bis zum Hof“, erklärt Richard, der die Karte studiert. Heute will die Gruppe unweit von Bayreuth in einer Bauernhof-WG übernachten. Ich werde nachmittags den Zug von Bayreuth zurück in den Norden nehmen. Richard und Ursula beschließen, sich Zeit zu lassen für die kurze Tagesetappe. Die beiden wollen sich in Ruhe alles ansehen. Wir treten dagegen schon wieder in die Pedale – 20 Kilometer sind nach Tagesetappen von 50 bis 80 Kilometern auch eher ein Katzensprung. Wir kommen ins Plaudern, halten noch für eine Hand Walderdbeeren und wundern uns, dass wir unserem Ziel nicht näher kommen. Ein Abgleich von Navigationsgerät, Smartphone und Karte bringt Aufschluss: „Wir haben uns verfahren, aber so sieht man erst recht noch viel mehr von der Gegend“, erklärt Sebastian. Die Technik hat versagt und wir besinnen uns auf das bewährteste Mittel – wir fragen nach dem Weg. „Da müsst ihr da immer nauf, könnt ihr nicht verfehlen.“ Und da sind sie wieder: Die verhassten Berge. Sebastian hat eine Devise, er steigt nicht ab, egal wie steil es sein mag. Dumm für den Co-Piloten, in dem Fall muss ich mit strampeln, ob ich will oder nicht. Auch als die Wege keine mehr sind und Gras den Waldboden überwuchert, kämpfen wir uns wie Bergziegen durch die wilde Natur. „Da vorne muss eine Abzweigung kommen“, keucht Dennis von hinten. Ich glaube nicht mehr daran, dass wir aus dieser wunderschönen Wildnis jemals wieder einen Ausgang, geschweige denn unser Ziel finden. Doch wir stoßen tatsächlich auf einen staubigen Pfad – und Richard. Er hat sich auf die Suche nach uns begeben. „Wir sind schon seit einer Stunde da“, sagt er und führt uns noch eine weitere Kuppe hinauf. Am Ende des Tages sind aus den 20 Kilometern 50 geworden – trotz allwissender Technik. Auf dem Bauernhof begrüßen uns junge Laufenten, die leise schnatternd an uns vorbei huschen. Viel Zeit bleibt mir nicht, all die Geheimnisse des alten Hofes zu erforschen, mein Zug fährt nur eine Stunde später von Bayreuth. Bis dahin sind es noch einmal vier Kilometer – Gott sei Dank bergab.
Wer das „Mood Tour“-Team für einen Tag auf dem eigenen Rad begleiten möchte, hat in 70 Aktionsstätten die Chance dazu. Der Aktionstag in Bremen findet am Mittwoch, 10. September, ab 12 Uhr auf dem Marktplatz statt. Danach können Interessierte bis nach Delmenhorst mitfahren. Weitere Infos zu Aktionstagen, dem Projekt und eventuell freien Plätzen für die aktuelle Tour gibt es auf www.mood-tour.de.
Die „Mood Tour“ dauert noch bis zum 20. September 2014 und soll dann im zweijährigen Rhythmus stattfinden.
Und hier geht es zu Teil I im Mood-Tour-Tagebuch: #moodtour: Sechs Tage voller Mut und Muskelkraft
Text: Annica Müllenberg, Fotos: Annica Müllenberg, Sebastian Burger
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