Die Stadt von Alvar Aalto, Marimekko und Salmiaklakritz
Um 9.33 Uhr nehme ich den Zug nach Hamburg Hauptbahnhof, schlängele mich dort an den Menschenmassen zur S-Bahn und steige um 11.18 Uhr am Airport aus. Schlag 13 Uhr hebt der Flieger in nordöstliche Richtung ab. 1258 Kilometer weiter lande ich eine Stunde und 50 Minuten später in der finnischen Hauptstadt. Die Kulisse: eckige Zwiebeltürmchen, moderne Glasbauten, Kirchen unter Felsbrocken, zwischendrin bäumen sich rötliche Granitsteine auf und ragen wie wild gewachsene Zähne in die urbane Umgebung – ein Clash von Stadt, Land und Meer: Willkommen in der größten Saunalandschaft der Welt, der Nation mit den fleißigsten Kaffeekonsumenten und den Nokia-Erfindern.
Bittersweet Symphony
17 Uhr: Eine Stunde wurde mir durch die Zeitverschiebung geklaut. Um genügend Energie zu tanken und auf den Geschmack des Nordens zu kommen, habe ich einen Besuch am Salmiakkikioski geplant. In dem kleinen halbrunden, in schwarz-weiß gehaltenen Verschlag aus den 40er Jahren werden gleich zwei finnische Lieblingsgenussmittel vermischt: Kaffee und Salmiaklakritz. Die Finnen verbrauchten mit 12,17 Kilogramm der braunen Bohnen 2013 die meisten in Europa. Salmiak gibt es am Kiosk in minziger, schokoladiger, scharfer und vor allem schwarzer Ausführung. Jedes Jahr wählt die finnische Salmiakki Association den Geschmacksknüller des Jahres. 2013 war das ein Salmiak-Salz, das auf Eis und Co. gestreut werden kann. Die Kiosk-Mitarbeiterin mischt es mit Milchschaum und tröpfelt die zähe Schaummasse auf den Kaffee. Fazit: Bittersweet Symphony!
Schwitzen in guter Gesellschaft
19 Uhr: Ein Haus – zwei Zwecke, diesem Motto folgt die Kultursauna. Das Schwitzen in mit Holz beheizten Hütten leistet in Finnland seit Jahrhunderten einen entscheidenden Beitrag zur Volksgesundheit – und zur Überwindung politischer Krisen. Nikita Chrustschtschow und der damalige finnische Präsident Urho Kekkonen führten hitzige Debatten in den Holzhüttchen.
Die Kultursauna demonstriert, dass ein Besuch in den bis zu 100 Grad heißen Kämmerchen sehr unterhaltsam sein kann. Am Fuße der Ostsee gibt es als Boni neben den Hitzegängen und dem abkühlenden Sprung in die Ostsee Konzerte geboten. Was die Saunatradition anbelangt, sind die Finnen sehr kreativ: So gibt es Varianten in Telefonzellen und in einer Gondel eines Karussells.
22 Uhr: Die höchste Bar in ganz Helsinki befindet sich im Hotel Torni. Ein Blick über die Stadt und ein Cocktail, wie er seinem Namenspaten sicherlich geschmeckt hätte, können Besucher dort genießen. Der Aalto-Cocktail wurde nach dem bekanntesten Architekten der Stadt Alvar Aalto benannt, der auch in Bremen ein Gebäude verwirklicht hat. Geschmack: beerig-spritzig.
Blumen, die nie verblühen
Tag zwei: Urlaubssouvenirs mit Wiedererkennungswert gibt es in Finnland fast überall. In dem Land mit der wohl höchsten Designdichte können Liebhaber von feinem Porzellan bis zum edlen Zwirn alles kaufen, was sich seit vielen Jahren bewährt hat, funktional und noch dazu zeitlos schick ist. Die Blumenmuster des Bekleidungsunternehmens Marimekko blühen seit den 60er Jahren. Einst machte Jackie Kennedy das Muster Unikko zum Fashion-Bestseller. Ein Besuch im Fabrik-Shop und eine Führung durch die Stoffmanufaktur lohnen sich – das Team gewährt ganz unverblümte Blicke. Und natürlich tragen alle Mitarbeiter Mode made by Marimekko.
Skulptur im Bett
14 Uhr: Auf dem Marktplatz kreisen die Möwen über den kleinen Verkaufsständen. Im gleißenden Spätsommerlicht sitzt es sich herrlich in den kleinen Buden mit Blick auf die viel zu brave Ostsee. Das Wasser plätschert gemächlich gegen die Kaimauern. Am Horizont sind die vielen Mini-Inseln zu erahnen, durch deren Labyrinth Fährschiffe manövriert werden, die in Helsinki vor Anker gehen. Die Marktleute verkaufen gegrillten Lachs, gebratene Rentierbällchen und frisches Gemüse – ein schmackhafter Snack für Zwischendurch, aber Vorsicht. Die kreisenden Möwen schnappen sich gerne ein paar Happen. Hundert Meter weiter steht das Pop-up-Hotel „Manta of Helsinki“ des japanischen Künstlers Tatzu Nishi. Über dem Brunnen mit der Statur von Havis Amanda ist seit dem 15. August 2014 ein schwarzer Kasten mit Fenster gesetzt – ein Hotelzimmer. Tagsüber schauen sich Touristen dort um, nehmen auf dem Sofa Platz und bestaunen die Brunnenskulptur im Bett. Nachts kann einziehen, wer schnell genug bucht. Allerdings, alleine sind die Gäste im Bett nicht – die Brunnenskulptur teilt das Lager. Für 15 Stunden haben die Hotelgäste den schönsten Panoramablick auf den Hafen. Ich versuche eine Nacht im Kunsthotel zu ergattern: „Ausgebucht, leider. Wir haben zu viele Anfragen. Es kommen die unterschiedlichsten Menschen“, erklärt mir der Mitarbeiter. Bis zum 12. Oktober ist das urbane Kunstobjekt noch zu besichtigen.
15 Uhr: Wenn ich schon im zurzeit berühmtesten Hotel der Stadt nicht unterkommen kann, schaue ich mir wenigstens das Haus des bekanntesten Architekten Skandinaviens, Alvar Aalto, an. Das von ihm selbst kreierte Gebäude ist ein moderner Kastenbau, umgeben von einem Naturzaun und Bruchsteinmauern. Im Garten huschen kleine Hasen durch die Büsche. Ich drücke auf die Klingel. „Bitte kommen Sie herein und ziehen Sie Ihre Schuhe aus“, erklärt mir die Mitarbeiterin des Hauses. Das Aalto-Hochhaus in Bremen-Vahr, das der Vater des Modernismus entwarf, ist mir ein Begriff – jetzt bin ich in seinem Haus. Ich schleiche andächtig auf Socken durch die hellen Gemächer. Im Wohnzimmer buhlen die Design-Klassiker um Beachtung: Lampen, Sessel, Schränke und natürlich die Savoy-Vase, bekannt durch ihren wolkigen Umriss. Fast jeder Finne besitzt ein Exemplar und die ganze Nation rätselt, was sich Aalto wohl bei der Form gedacht haben mag. Der Tipp des Hauses: „Aalto heißt Meereswelle, mich erinnert die Form auch daran“, sagt die Mitarbeiterin.
Für jeden Tag eine Insel
Helsinki ist auf der Meeresseite flankiert von über 300 Inseln. Die Größen variieren von wenigen Quadratmetern bis zu Quadratkilometern. Da sie als militärisches Gebiet genutzt werden, haben selbst Einheimische sie noch nicht besuchen können. Für den Tourismus freigegeben wurde jüngst die Seefestung Suomenlinna: Ein verschlafenes Örtchen, auf dem die Zeit stehen geblieben ist – und natürlich die militärischen Aktionen. Die Kanonen ruhen im Dornröschenschlaf und in den ehemaligen Kasernen wohnen jetzt Angehörige einer Kommune.
Vom Hamburger Airport gehen derzeit täglich zwei Flüge nach Helsinki: um 12.40 Uhr und 19.10 Uhr. Und auch Ryan Air fliegt ab Bremen nach Tampere, ca. zwei Stunden Fahrtzeit von Helsinki entfernt.
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