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#werdersee: Mit schönen Formulierungen zum Neubaudesaster

Kein_Hochhaus_am_Werdersee_©-Annica-Müllenberg

Was wächst denn da? Laut Bremer Baubehörde bestimmt kein Hochhaus, sondern ein „nur“ 6-stöckiges Bauwerk direkt neben dem Friedhof und dem Deich zum Werdersee. © Annica Müllenberg

In der Neustadt, genauer gesagt auf der letzten großen grünen Wiese hinter dem Deich beim Werdersee, wird gerade ein Neubauprojekt geplant. Gartenstadt Werdersee so der Titel. Am Mittwochabend fand eine Einwohnerversammlung in der Schule am Leibnizplatz zum Thema statt und ich habe mal genau hingehört.

Gartenstadt Werdersee – klingt gut.
Deichpark – klingt fast noch besser.
Innere Entwicklung – klingt sehr vernünftig.
Wohnen für Senioren und sozial Benachteiligte – entspricht den Bedarfen Bremens. Wassernah wohnen – wer will das nicht.
Bürgerbeteilung – ja, bitte!

Doch die schönen Worte der Bremer Stadtbaudirektorin Reuther und ihres Teams am Mittwochabend konnten nicht den durch Medienberichte und Bürgerinitiative hervorgerufenen Eindruck entkräften: Dieses Neubauprojekt bringt wenig Grün, dafür (zu viel und zu hoch aufragenden) Beton und Asphalt! Das ist dem vorliegenden Plan und Bildern aus der Präsentation klar zu entnehmen. Geplant wird nämlich schon tüchtig, dabei sind bislang noch nicht einmal die möglichen Folgen einer solch massiven Bebauung untersucht und abschließend bewertet. Und das ist der eigentliche Skandal: Hier kommt eindeutig Schritt 2 vor Schritt 1! Denn die Folgen sind mit gesundem Menschenverstand schon ohne Gutachten ersichtlich: Für das gesamte Klima der Stadt Bremen (Durchlüftung, Wasserrückhalt), den Verkehrsfluss von und zur Erdbeerbrücke und nach Huckelriede – die bereits heute schon Nadelöhr während der Stoßzeiten sind, die sowieso steigende Lärm- und Umweltbelastung  (Flughafen, Feinstaub, Artenschutz), die abzusehende Entwicklung eines sozialen Brennpunkts und das Sinken der Lebensqualität für alle Bremer durch eben diese Folgen.

Schöne Worte für einen fatalen Plan

Der Plan selbst dechiffriert die blumigen Worte: Die Gartenstadt ist mehr Stadt, als Garten. Das ändern auch zwei so genannte „Grüne Finger“ nicht, die parallel zum Deich verlaufen und von 3- bis 4-stöckigen Gebäuden flankiert sind. Sichtachse zum Werdersee? Nicht vorhanden. Zusätzlich sind neben ca. 300 Reihenhäusern bis zu 6-stöckige Häuser geplant (eines davon direkt am Deich, siehe Protestplakat oben!). Das mag für die Innenstädte von Berlin und München eine übliche Haushöhe sein, ist aber selbst für die Bremer Innenstadt ungewöhnlich und für die Ansiedlung direkt im Naherholungsgebiet Werdersee ein Skandal. Auch der Deichpark, wie ein geplanter Grünbereich genannt wird, kann die Situation nicht retten. Er liegt auf kontaminierten Flächen zum Friedhof hin (die kostenintensiv saniert werden müssen!) und nicht wie eigentlich sinnvoll als ein für alle offener grüner Puffer zum Deich.

Der nächste soziale Brennpunkt in Bremen: Gartenstadt Werdersee

Städte sind dazu angehalten, Neubauprojekte in bestehenden besiedelten Gebieten umzusetzen. Das nennt sich „innere Entwicklung„. Das gilt natürlich auch für Bremen. Gleichzeitig rühmt sich die Stadt damit, in Sachen Klima und Nachhaltigkeit voranzugehen. Die gezeigte Planung wäre vielleicht in der Innenstadt als besonders grün und progressiv hervorzuheben, doch angrenzend an die Wohngebiete mit zweigeschossigen Häusern und direkt neben dem Friedhof wirkt dieses Vorhaben mehr als deplatziert. Die angekündigten 25 Prozent Wohnungen für Bedürftige werden zum Großteil en bloc und direkt an der Habenhauser Landstraße verortet – der soziale Brennpunkt ist vorprogrammiert. Und wer sagt, dass die geplanten Reihenhäuser dann wirklich gebaut und nicht wie auf der Werderinsel mangels Nachfrage durch mehrstöckige Häuser ersetzt werden? Auch in puncto Bürgerbeteiligung gibt es nicht mehr als das Angebot, Anregungen aufzunehmen. Auf die vorhandenen kritischen Fragen der gut 200 NeustädterInnen und HabenhauserInnen während der öffentlichen Sitzung in der Schule am Leibnizplatz wird nur ausweichend geantwortet. Auch der Beirat der Neustadt als politischer Vertreter der BürgerInnen wurde bislang nur angehört und musste bei Entscheidungen draußen bleiben. Und was die Städteplaner mit den Anregungen machen ist unklar. Klar ist nur: Die Bebauung wird kommen, wie Städtebaudirektorin Reuther deutlich sagt. Der Wohnungsnot in Bremen müsse entgegengewirkt werden. Bezahlbare Wohnungen seien gesucht in innenstadtnahen Lagen. Ich frage mich, warum nicht vor dem nächsten Neubauprojekt der vorhandene Leerstand in der gesamten Stadt kreativ genutzt wird? Stattdessen werden einzelne Bevölkerungsgruppen gegeneinander in Stellung gebracht. Ganz nach dem Motto: Gönnt ihr den anderen das Wohnen am Wasser nicht? leerstandmelder_bremen_GLUCKE

Die Mär von der Hundewiese hinterm Deich

Und hier sind wir schon beim Punkt: Es geht definitiv nicht darum, eine Hundewiese für einzelne Bewohner des angrenzenden Wohngebiets zu bewahren oder ihre privilegierte Wohnlage zu schützen. Es geht um die Wirkung einer Bebauung in einem beliebten und sehr frequentierten Erholungsgebiet. Es geht um Lebensqualität in der Neustadt, in der zurzeit drei Groß-Neubauprojekte durchgeplant sind: Bei Rewe am Deichschart, beim Cambrai-Dreieck in Huckelriede und auf dem Kasernengelände direkt am Werdersee. Auch dafür liegen bis heute z.B. noch keine Verkehrskonzepte vor. Erst mal bauen, dann sehen. Dabei geht es bei jedem Bauprojekt und besonders bei so großen immer auch um die Lebensqualität ganz Bremens – und auch möglicher künftiger BewohnerInnen –, denn sie haben immer auch Folgen auf das Stadtklima. Und es geht darum, Bremen im Sinne der BürgerInnen zu entwickeln und nicht im Sinne von Investoren. Denn dafür – auch das hat sich auf der Versammlung gezeigt – dafür sind die Menschen bereit sich einzubringen. Wenn sie und ihre Anliegen ernst genommen werden. Zum Beispiel mit einem neuen, wirklich grünen Entwurf.

Text: Heike Mühldorfer